Persönliches

Es begann
 
mit einem Geschenk meiner Eltern. Ein flacher, weiß eingeschlagener Karton lag auf dem Tisch vor dem Küchenfenster. Ich vermutete etwas Praktisches, Strümpfe vielleicht, die hoffentlich nicht kratzten oder neue Unterwäsche. Stattdessen wickelte ich ein Buch aus. Mein allererstes Buch. Das ehrfürchtige Gefühl, mit dem ich es damals in die Hände nahm, lebt heute noch in mir. Auf dem weißen Cover ein junges Mädchen mir überaus anmutigen Bewegungen, das fröhlich in die Welt lächelte. Es trug ein rotes Kleid mit einer blauen Schürze, dem ganz sicher ein Petticoat seinen bauschigen Schwung verlieh, Ballerinas und ein weißes Kopftuch mit roten Tupfen über den blonden Haaren. Sie hielt in der einen Hand einen Blumenstrauß und an der anderen führte sie ein kleines Mädchen, in allem ihr Spiegelbild. „Alle lieben Christa“ stand über diesem Wunder. Ein solches Mädchen konnte nur beliebt sein; und wie weit war ich als Siebenjährige mit meinen Wutausbrüchen, meinen Pausbacken und meiner Topfdeckelfrisur von diesen beiden Wundern entfernt. In den folgenden Tagen wurde ich eingeweiht in das aufregende Leben eines mir unbekannten Menschen. Nach wenigen Tagen war mir Christa vertraut, sie war mir wie eine große Schwester, und mit ihr wuchs die Sehnsucht nach einer unerreichbaren fremden und aufregenden und traumhaft schönen Welt.

 

Diese Sehnsucht stillte ich im Laufe der folgenden Jahre mit einer unzählbaren Menge an Büchern, die ich wahllos verschlang. Bücher, die mich von der Realität wegführten, zu Fluchtorten wurden und Bücher, aus deren Träumen ich mein Leben gestaltete. Es waren oft die Worte der Dichter, die sich in vielen, vor allem schwierigen Situationen bewahrheiteten, sich als tragfähig erwiesen. Umgekehrt habe ich im Laufe meines Lebens Lehren gezogen und Einsichten gewonnen, die mir später in einem Roman oder in einem Gedicht wieder entgegentraten. Formuliert von Menschen mit völlig anderen Lebensumständen und doch der gleichen Sichtweise auf wesentliche Dinge. Das gibt Mut.

Andererseits, jeder Gedanke wurde bereits gedacht, jede Erkenntnis vielfach in Worte gefasst. Wozu also sich die Mühe machen, wozu versuchen, es noch einmal aufzuschreiben? Vielleicht weil wir uns die Mühe machen müssen, es noch einmal zu denken. So wie jedes Kind sich die Mühe machen muss, das Laufen zu erlernen, sich Schritt für Schritt die Welt zu erobern, so sind wir auch aufgerufen, uns mit den ewigen und immer gleichen Fragen, die uns das Leben stellt, auseinanderzusetzen und im Durchgehen und Durcharbeiten des uns Aufgegebenen eine persönliche Antwort zu finden. Ich denke, es geht oft gar nicht so sehr darum, Lösungen zu finden, sondern vielmehr eben um dieses Durchgehen, Durchkämpfen und Durchdenken, das zu einer Verwandlung unserer eigenen Person und somit auch zu einer geistigen Erneuerung unserer Gesellschaft führen kann.

Ich glaube oder bescheidener ausgedrückt, ich hoffe sehr, dass jeder Mensch auf jede Situation, vor die er gestellt wird – und sei sie noch so schwierig – mit einem Ja antworten kann. Ich plädiere für das Ja, weil dadurch den helfenden und verwandelnden Kräften das Tor geöffnet wird. Aus diesem Geist versuche ich zu erzählen und Gedichte zu schreiben. Ob ich Worte finde, die berühren und diesem Geist eine sichtbare Form geben, entscheiden meine Leser. Ich hoffe, ihnen etwas geben zu können, was auch ich in Büchern gefunden habe.